«Um diese Jahreszeit habe ich immer ein blaues Knie»

Man könnte sagen: Er ist ein Glücksfall für Reckingen. Josip Radoslav versorgt seine Kollegen mit Heidelbeeren und Pilzen. Ganz gratis. Einfach, weil er so gerne im Wald unterwegs ist, dass er viel zu viele davon findet.

Um diese Jahreszeit hat Josip Radoslav immer ein blaurotes Knie. Aber nicht etwa, weil er viel umfallen würde. Nein, das Knie ist blau, weil er sich beim täglichen Heidelbeerensammeln mit dem Knie abstützt und dabei Beeren zerdrückt.

Josip Radoslav ist leidenschaftlicher Pilz- und Beerensammler. Jetzt, im Herbst, ist er täglich in den Wäldern rund um Reckingen unterwegs. Dabei steigt er auch gern mal 1000 Höhenmeter hoch, um ein paar Stunden später mit 15 Kilo Beeren zurückzukommen. Oder mit einem Korb Pilzen. Und wenn es nichts zu ernten gibt, geht er einfach so in den Wald. «Ich bin ein Naturmensch», sagt der Radoslav, «und das Sammeln ist mir in die Wiege gelegt worden. Meine Mutter ging ständig Pilze und Beeren sammeln. Ich ging mit und es hat mich gepackt.»

Dass er vor knapp 50 Jahren in die Schweiz kam, ist sozusagen ein Glücksfall für Reckingen. «Ich habe so viele Kollegen, denen mache ich gern eine Freude. Wir machen auch Konfitüre oder Sirup und legen Pilze ein. Das könnte man schon teuer verkaufen, aber ich verschenke es lieber», sagt er und lacht.

Dass er kaum stillsitzen kann, nimmt man dem pensionierten Bahnarbeiter sofort ab. Drahtig ist er, schwungvoll sind seine Bewegungen, schlagfertig seine Antworten. «Meine Kollegen sagen: Dich müsste man mit dem Schlegel erschlagen, so fit bist du», scherzt er und fügt an: «Seit ich pensioniert bin, helfe ich, wo es mich braucht, heue, mache Maurerarbeiten, nur nicht sitzen bleiben. Ohne Arbeit würde ich verrückt.»

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Wegen den Kommunisten geflohen

In die Schweiz kam er 1973, weil in seiner Heimat Kroatien die Kommunisten den Katholiken das Leben schwer machten: «Ich bin katholisch aufgewachsen, mir ist die Religion heute noch heilig. Und unter dem Kommunismus wurde das ja verteufelt. Das konnte ich nicht ertragen, da bin ich weg». Weil ein Kollege bereits in Brig war, bekam der gelernte Schiffsschweisser dort seinen ersten Job, aber kein Jahresvisum. ‹Dann sagte ein Arbeitskollege: Du da oben in den Bergen, im Goms, suchen sie Arbeiter.› Da sind wir zu zweit da hochgefahren und konnten bei der Baufirma Walpen anfangen. Und gleich am ersten Tag habe ich im damaligen Konsum eine junge, schöne, nette Frau kennen gelernt, sie war an der Kasse – und so hat das angefangen.» 1976 haben die beiden geheiratet und drei Kinder bekommen, zwei Söhne und eine Tochter.

Bergsteigen hat er bei den Samaritern gelernt

Mit der Tochter singt er in Brig im Gospel-Kirchenchor. Das ist längst nicht sein einziges freiwilliges Engagement. Gleich nach der Heirat trat er der örtlichen Feuerwehr bei, später den Samaritern und der lokalen Bergrettung. In den Ausbildungen lernte er Bergsteigen. Und das alles neben der Arbeit. Nach 19 Jahren wechselte er zur Matterhorn Gotthard Bahn, wo er bis zur Pensionierung blieb. Seither ist er praktisch täglich in den Bergen unterwegs, nur zur Jagdzeit, da bleibt er im Dorf: «Dann lasse ich den Wald den Jägern», sagt er bestimmt.

Nur mit einem kann er es im Moment gar nicht: «Ich habe Krieg mit einem Dachs», sagt er, «der wühlt mir jede Nacht den Garten um auf der Suche nach Engerlingen und Stachelbeeren». Doch etwas antun würde er dem Dachs nie. Stattdessen hat die Beeren höher gehängt und ordnet am Tag die Beete geduldig neu. Seine zweite Heimat würde er mit nichts mehr tauschen wollen: «Hier isch e schöns Läbe, lueg emol die Natur. Das isch gewaltig», sagt er in fast reinem Gommer Dialekt und bereitet die Arme aus.

L’Aiuto svizzero alla montagna fornisce un sostegno finanziario quando i fondi non sono sufficienti per realizzare un progetto lungimirante.