Mehr als nur Fassade
Mit viel Herzblut und noch mehr Fachwissen bewahrt Rolf Steinbacher ein altes Handwerk am Leben. Einblick in die Arbeit eines Schindelmachers.
Mit viel Herzblut und noch mehr Fachwissen bewahrt Rolf Steinbacher ein altes Handwerk am Leben. Einblick in die Arbeit eines Schindelmachers.
Tock, tock, tock, tock. Tock-tock. Tock. Ein seltsames, rhythmisches Klopfen durchbricht die vormittägliche Stille an diesem Sommertag bei der Kirche in Mels. Kommt es von der Baustelle beim eingerüsteten Pfarrhaus? Aber dort arbeitet doch im Moment gar niemand. Doch. Einer schon. Einer, der am linken Daumen einen etwas längeren Fingernagel trägt. Er heisst Rolf Steinbacher und ist Schindelmacher. Der lange Nagel hilft ihm beim Greifen der feinen Nägel aus der Ledertasche an seiner Hüfte. Rolf ist daran, einen kleinen Anbau mit neuen Schindeln zu versehen. Rund 5000 Stück, jede ein bisschen anders, alle von Hand gespalten. Und nun nagelt er alle von Hand an die Wand. Daher das seltsame Klopfen.
Er habe einen aussterbenden Beruf, sagt Rolf. Leider. Geschindelte Fassaden seien heute halt nur noch etwas für Liebhaber. Viel zu langlebig. «Eine Schindelfassade kann im Idealfall 100 Jahre halten. Aber das will heute gar keiner mehr», erklärt er.
Keine Kompromisse
Doch Rolf lässt sich nicht davon beeindrucken, dass die Welt immer schnelllebiger wird. Er ist stolz auf sein Handwerk und würde es eher aufgeben, als zuzulassen, dass eine seiner Fassaden aus Zeit- und Kostendruck etwas anderes als perfekt würde. Dazu gehören der sauber präparierte Untergrund sowie die exakte Ausrichtung der einzelnen Schindeln. Es fängt aber schon viel vorher an. Genauer gesagt ein Dreivierteljahr vorher, mitten im Wald.
Gemeinsam mit dem Förster streift Rolf langsam durch die herbstlichen Hänge oberhalb von Vättis. Er ist auf der Suche nach Fichten und Lärchen, die möglichst gerade und langsam gewachsen sind. Er weiss, wo er schauen muss: an besonders windgeschützten Stellen. Die Bäume, die Rolf gefallen, markiert der Förster mit der Spraydose. Später werden sie geschlagen und direkt zu Rolfs Werkstatt in Vasön im Taminatal transportiert.
Es ist nicht nur Rolfs Arbeitsplatz in der kalten Jahreszeit, sondern auch sein Zuhause. An diesem Wintertag produziert der 52-Jährige gerade noch eine letzte Charge geschnittener Schindeln, bevor er sich wieder der handgespalteten Variante zuwendet. Genau, es gibt nicht nur diverse Grössen und Festigkeiten, sondern auch zwei komplett unterschiedliche Herstellungsprozesse. Beide haben ihre Vorteile, ihre Geschichte, ihre Faszination für Rolf.
Wenn er geschnittene Schindeln produziert, muss er zuerst mal einheizen. Im antiken Siedhafen, der in der Küche steht, schichtet er vorbereitete Holzklötze aufeinander Dann werden sie mit Wasser bedeckt, das durch das Feuer erhitzt wird. So «garen» die Scheite mehrere Stunden, bevor Rolf sie verarbeiten kann. In der Werkstatt kommt dann zuerst das Rad zum Einsatz, eine Art mechanisierter Hobel, der aus den Klötzen die Rohschindeln schneidet. Diese sortiert Rolf von Hand – immer eine Schindel, die sich in Richtung der Baumkrone verjüngt neben einer, bei der das dünnere Ende beim Stamm in Richtung Wurzeln zeigte. Danach kommt ein weiteres uraltes Werkzeug zum Einsatz, mit dem die Schindeln in ihre endgültige Form gestanzt werden.
Alles von Hand
Noch rustikaler geht es bei den handgespalteten Schindeln zu und her. Und noch mehr altes Wissen ist nötig. Hier kommen die vorbereiteten Holzspalten auf einen speziellen Scheitstock. Mit dem Schindelmesser spaltet Rolf die gerade mal einen knappen Zentimeter dicken Schindeln ab, dann schneidet er jede einzelne mit einem weiteren Messer in die richtige Form. Das alles geht blitzschnell. «500 bis 900 Stück schaffe ich an einem guten Tag.» Den ganzen Winter über geht das so. Tag für Tag, bis das Lager oberhalb der Werkstatt wieder ganz voll ist. Und dann, im Frühling, wenn die Arbeit gerade anfängt, zu monoton zu werden, ändert sich wieder alles. Dann schliesst Rolf seine Werkstatt, nimmt die vorbereiteten Schindeln und geht auf Montage. Die Objekte sind so vielseitig wie die Arbeitsorte: abgelegene Alpställe, stattliche Einfamilienhäuser – oder eben der kleine Anbau am Pfarrhaus von Mels.